Vertiefungstexte aus dem Fokus

Seit 2021 erscheint die Hauszeitung «Fokus» in der neuen Form. Sie finden auf dieser Seite weiterführende Informationen zur entsprechenden Ausgabe.

Fokus 2022-3

Prof. Dr. med. Jürg Barben, Leitender Arzt Pneumologie

Kinderheilkunde in Palästina

Lehrtätigkeit am Caritas Baby Hospital in Bethlehem

 

Seit rund 10 Jahren unterrichten meine Frau und ich in unserer Freizeit bzw. Ferien am Caritas Baby Hospital in Bethlehem und helfen mit, dass auch Kinder in Palästina eine optimale Betreuung erhalten. Es ist das einzige Kinderspital im Westjordanland und gewährt allen – unabhängig ihrer Herkunft und Religion – eine gleichwertige, umfassende Behandlung. Getragen wird das allein durch Spenden finanzierte Spital von der Kinderhilfe Bethlehem und ist das grösste private Schweizer Entwicklungsprojekt in Palästina.

Entstehung des Caritas Baby Hospital 

Die Gründung des Kinderspitals vor 70 Jahren geht zurück auf den Schweizer Pater Ernst Schnydrig. Als der Walliser Journalist und Missionar an Weihnachten 1952 Bethlehem besuchte, um über die Lage in den Flüchtlingslagern zu berichten, musste er mit ansehen, wie ein verzweifelter Vater sein verhungertes Kind begrub. Betroffen beschliesst er, dass nie wieder einem Kind am Geburtsort Jesus medizinische Hilfe verwehrt werden soll und gründet das Spital. Er mietete zwei Zimmer in einem Haus in Bethlehem, stellte 14 Betten hinein, gewann für seine Idee den palästinensischen Arzt Dr. Antoine Dabdoub und die Schweizerin Hedwig Vetter. In Europa gründete er die Kinderhilfe Bethlehem, die das christliche Kinderspital langfristig unterstützen und weiterentwickeln sollte. 

Das Kinderspital heute

Heute besteht das Spital aus drei Gebäuden mit 70 Betten und einem Ambulatorium. Es arbeiten rund 200 Menschen im Spital, die meisten sind Palästinenser. Dazu kommen Spezialistinnen, Spezialisten und Freiwillige aus Europa. Seit 1970 bildet das Spital Krankenpflegerinnen aus und seit 2013 ist es auch Ausbildungszentrum für Pädiatrie. Wer in Bethlehem nach dem Kinderspital fragt, kommt rasch ans Ziel. Wer sagt, dass er dort arbeitet oder lehrt, wird überall besonders zuvorkommend aufgenommen. Das Kinderspital ist in Bethlehem so bekannt wie die Geburtskirche. Das Haus ist hell und einladend, perfekt ausgestattet, das Personal kompetent und sehr freundlich. Man könnte fast vergessen, dass man sich in der Krisenregion des Westjordanlandes befindet. Kaum 100 Meter weiter allerdings trennt die von Israel errichtete hohe und abweisende Sperrmauer Bethlehem von Jerusalem.

Die Türen des Spitals stehen jeden Tag, ohne Unterbrechung, allen Kindern und Müttern offen. Seit 70 Jahren ist es für mehr als 300'000 Kinder im Westjordanland die wichtigste Anlaufstelle für qualifizierte medizinische Hilfe. 2021 wurden im Spital mehr als 43'000 Kinder behandelt, davon 40'000 ambulant. Die über 70 Betten werden jährlich von mehr als 3'200 Kindern belegt, davon 240 auf der Intensivstation. Mehr als 100'000 Tests werden im hochmodernen Labor jedes Jahr durchgeführt. Die meisten Kinder leiden unter typischen «Armutskrankheiten» wie Durchfall, Erbrechen, Unterernährung, Fehlernährung, Atemwegsinfektionen, Lungenentzündung, bedingt durch schlechte Hygiene, schlechte Wohnverhältnisse und verschmutztes Wasser. 

Frühe Heirat und viele Kinder in rascher Folge (im Schnitt unter 18 Monate), Arbeitslosigkeit und mangelhafte Ernährung verschlimmern die ohnehin nicht optimalen Lebensbedingungen der Kinder. Die Mortalität der unter 5-Jährigen liegt bei 25 pro 1'000 Lebendgeburten (in der Schweiz: 3,6 pro 1'000), 10 % aller Kinder sind für ihr Alter zu klein – ein Zeichen chronischer Unterernährung. Aber auch genetische vererbte Erkrankungen bedingt durch Verwandtenehen kommen in Palästina häufig vor. Gemäss einer Publikation im Lancet aus dem Jahre 2009 sind in Palästina 45 % der Ehepaare konsanguin (zweitgradige Cousins), 28 % heiraten sogar Cousin oder Cousine, nicht zuletzt da die Bewegungsfreiheit in Palästina massiv eingeschränkt ist, was die Partnerwahl stark einengt. 

Erste Seminare über Lungenerkrankungen

Neben der täglich zu bewältigenden Arbeit auf den Stationen und in den Ambulanzen haben Ausbildung und Fortbildung einen hohen Stellenwert. Durch Verbindungen zu ausländischen Kliniken in Europa gelingt es immer wieder erfahrene Referentinnen und Referenten nach Bethlehem zu holen. Im April 2013 wurden wir erstmals angefragt, für Ärzte, Pflegepersonal und Physiotherapeutinnen ein Seminar zum Thema Lungenerkrankungen im Kindesalter zu organisieren. Das Seminar bestand aus Vorlesungen mit interaktivem Charakter und wurde ergänzt durch praktische Beispiele und Übungen, als auch durch unsere Anwesenheit sowie Diskussion bei der Visite. Die Themen wurden in Absprache mit der Chefärztin so gewählt, dass sie für die in Palästina auftretenden Erkrankungen relevant waren, und umfassten unter anderem akute
Bronchiolitis, obstruktive Bronchitis, Asthma, Zystische Fibrose (CF), Non-CF Bronchiektasen, Lungenfunktionstests, Inhalationstherapie sowie Fallbeispiele zu den jeweiligen Themen. Die Ärzteschaft hat unser Seminar mit grossem Interesse verfolgt und durch eigene Erfahrungen, Fragen und Diskussion wesentlich zum Gelingen beigetragen. Die Zeit hat nie gereicht um auf alle Punkte einzugehen. Aus diesem Grunde werden wir jedes Jahr erneut angefragt, ob wir wiederkommen und eine Fortsetzung machen könnten. Während der Covid-Epidemie war es leider nicht möglich, nach Bethlehem zu reisen, dafür konnten wir mittels Zoom-Veranstaltungen alle 1 bis 2 Monate die Fortbildungen weiterführen. 

Wasser als wichtige Grundlage für die Gesundheit

Wasser spielt in den Konflikten des Nahen Ostens eine sehr wichtige Rolle. Spitäler wie das Caritas Baby Hospital spüren die Auswirkungen des akuten Wassermangels besonders im Sommer. Immer häufiger müssen zum Teil lebensbedrohliche Durchfall-Erkrankungen behandelt werden. Auch wenn 90 Prozent aller palästinensischen Haushalte an das öffentliche Wassernetz angeschlossen sind, können sich die Hausbewohner nicht darauf verlassen, dass auch wirklich immer Wasser aus den Leitungen kommt. Selbst in großen Städten wie Ramallah fließt pro Woche nur für einige Stunden Wasser in die Haushalte – häufig nachts. Die Familien füllen es in Flaschen und Kanister ab. Sie müssen dabei in Kauf nehmen, dass es verunreinigt wird. Der Großteil der natürlichen Wasservorkommen steht unter israelischer Kontrolle, so auch die Grundwasser führenden Schichten unterhalb des Westjordanlandes. Bestehende Brunnen sind alt und oft nicht mehr tief genug, da der Grundwasserspiegel stetig absackt. Das Bohren neuer Brunnen ist Palästinensern selbst auf eigenem Territorium meist nicht erlaubt.

Um das notwendige Wissen in Hygiene, gesunder Ernährung und Kinderpflege zu vermitteln, initiierte die Kinderhilfe Bethlehem eine Mütterschule, die entscheidende Erfolge in Palästina verzeichnen kann.

Leben in Palästina

Der Begriff Palästina kommt aus der Zeit des Britischen Mandates Palästina bevor 1948 Israel gegründet wurde, wobei drei Viertel der damals lebenden arabischen Einwohner von Palästina vertrieben wurden. Gemäss der UN (United Nations) gibt es rund 4.5 Millionen Flüchtlinge aus dem israelisch-arabischen Krieg von 1948. Der Begriff «besetztes Palästina» ist ein Begriff, der von den UN für diejenigen Gebiete bezeichnet wird, die von Israel nach dem israelischen-arabischen Krieg von Israel 1967 besetzt wurden. Nach der zweiten Intifada im Jahr 2000, haben sich die Lebensumstände der Palästinenser deutlich verschlechtert. Palästinas Wirtschaft ist zunehmend in Schwierigkeiten, nur wenige Menschen glauben noch an eine Zukunft im eigenen Land. Die Arbeitslosigkeit liegt derzeit bei deutlich über 50 Prozent. Man spürt Müdigkeit und Resignation bei den Menschen. In den palästinensischen Gebieten lebt eine sehr junge Bevölkerung  über 50 Prozent sind jünger als 18 Jahre. Das Leben der Kinder und Jugendlichen in Palästina ist durch jahrelange Konflikte und Instabilität geprägt. Es fehlt an Investitionen in den Wohnungsbau, das Bildungssystem und die Gesundheitsversorgung. Die Zahl der Haushalte, die in Armut leben, nimmt stetig zu. Kinder und Jugendliche in Palästina sind aufgrund der internen und externen politischen Auseinandersetzungen und Straßenkämpfe einem hohen Grad an öffentlicher Gewalt ausgesetzt und leiden auch häufig an häuslicher Gewalt innerhalb der Familie.

Bethlehem, Beit Dschala und Beit Sahur

Die drei Städte Bethlehem, Beit Dschala und Beit Sahur sind die wichtigsten kulturellen Zentren und Wohngebiete der noch verbliebenen christlichen Palästinenser. Bethlehem ist eine kleine Stadt mit 30‘000 Einwohnern. Die Stadt gehört zu den Palästinensischen Autonomiegebieten und grenzt im Norden an Jerusalem. Bekannt ist Bethlehem für die Geburtskirche von Jesus sowie die Altstadt mit ihren zahlreichen christlichen Kirchen. Sie beheimatet auch zwei Universitäten und das grosse Flüchtlingslager Aida. Zur Agglomeration gehören auch die zwei Städte Beir Dschala und Beit Sahur; letzterer Ort hat wie Bethlehem biblische Bedeutung für die Israeliten, weil sie der Überlieferung nach der Geburtsort König Davids sein soll.

Nördlich der Stadt Bethlehem verläuft heute die Israelische Sperranlage, die mit einer bis zu acht Meter hohen Mauer Bethlehem von Jerusalem trennt. Der Übergang wird durch Kontrollpunkte, sogenannte Checkpoints, geregelt, die die Bewegungsfreiheit der palästinensischen Bewohner als auch der Touristen erheblich einschränken. Während der Übergang für Touristen mehrheitlich ein unangenehmer Zeitfaktor ist, bedeutet er für die Palästinenser häufig Stress durch die Willkür der agierenden Grenzposten. Alte, Kranke und Schwangere sind durch stundenlange Wartezeiten und ermüdende Kontrollvisiten besonders belastet. Es ist auch nichts Ungewöhnliches, wenn man unerwartet vor verschlossener Mauer steht, weil der Checkpoint plötzlich geschlossen ist. Der Tourismus war für Bethlehem eine wichtige Einnahmequelle, das umständliche Durchqueren der Kontrollposten und ganz aktuell die Covid-Epidemie führten dazu, dass heute nur noch wenig Reisegruppen Bethlehem besuchen und noch weniger dort übernachten. Fremdenführer haben keinen Job mehr, die wertvollen Olivenholz-Schnitzereien leiden an Absatzmangel und Hotels müssen ihre Bettenzahl reduzieren.

Zusammenfassend sind wir sehr beeindruckt vom Caritas Bethlehem Hospital, das den kleinen Patienten eine Versorgung auf internationalem Top-Niveau ermöglicht, vom Engagement der dortigen Ärzteschaft trotz komplexen Lebensbedingungen, aber auch vom Schweregrad mancher Erkrankungen, die wir bei uns so nicht mehr sehen. Wir werden bei jedem Aufenthalt sehr gastfreundlich umsorgt und der Aufenthalt in Palästina ist auch für uns immer eine große Bereicherung, voll von Erlebnissen und Erfahrungen, die uns aber auch nachdenklich stimmen. Das seit Jahrzehnten ungelöste Palästinaproblem mit den von Jahr zu Jahr ausdehnenden jüdischen Siedlungen im Westjordanland, ist heute wegen den Kriegen in Syrien und Ukraine in Vergessenheit geraten, gilt aber unter Diplomaten als «Mutter aller Nahostkonflikte». Solange dieser «Israel-Palästinenser-Streit» nicht für alle Beteiligten zufriedenstellend gelöst wird, wird es nie Frieden im Nahen Osten geben.

Fokus 2022-2

Prof. Dr. med. Dagmar l’Allemand, Leitende Ärztin Endokrinologie/ Diabetologie

Starke Familie und die perinatale Prävention

Ein interprofessionelles Versorgungsmodell zum Vorbeugen von Kinder-Adipositas

 

Die Projektförderung Prävention in der Gesundheitsversorgung ermöglicht es, wissenschaftliche Erkenntnisse in die alltägliche Versorgung umzusetzen. Hiermit ermutige ich alle, interprofessionelle Projekte bzw. Frühinterventionen aufzugleisen (09/2022: www.gesundheitsfoerderung.ch)

Als Kinder-Diabetologin und Hormon-Spezialistin bin ich seit Jahrzehnten zunehmend mit Folgekrankheiten des Übergewichts von Kindern und Jugendlichen konfrontiert: Gelenksprobleme, Prä-Diabetes, Bluthockdruck, Fettleber, Schlafapnoesyndrom u.a.. Die Lebensqualität der schwer übergewichtigen Kinder ist ähnlich stark eingeschränkt wie die derer mit Tumor­erkrankungen.

Zunächst habe ich – im Glauben, dass wissenschaftliche Erkenntnisse Änderungen anstossen… – klinisch und im Labor geforscht. Vor allem die erhöhten männlichen Hormone, die bei Übergewicht letztlich bei beiden Geschlechtern eine Unfruchtbarkeit hervorrufen können, haben mich wissenschaftlich im Rahmen meiner Habilitation interessiert. Zahlreiche wissenschaftliche Publikationen belegen: Das beste Rezept ist immer gleich – weniger Fettgewebe.

Also haben wir – Drs. Laimbacher, Farpour-Lambert und ich – dafür gesorgt, dass seit 2014 die Evidenz-basierte multiprofessionelle Übergewichts-Behandlung von Kindern von den Krankenkassen bezahlt wird. 

Leider muss ich nun nach über 30 Berufsjahren feststellen, dass weder die Kinder-Adipositas, noch die Folgekrankheiten deutlich abnehmen. Auch haben die betroffenen Kinder und ihre Eltern oft so vielfältige Probleme, dass eine echte Behandlungs-Bereitschaft eher selten, der Weg zu weit, die Zeit zu knapp ist. Der Fachverband Adipositas im Kinder- und Jugendalter AKJ hat in der Folge der nationalen KIDSSTEP-Studie ermittelt, dass von ca. 119’000 Betroffenen in der ganzen Schweiz jährlich nur 100 in Gruppenprogrammen behandelt werden. Die Behandlung erreicht nur wenige.

Nun gibt es seit 2018 eine populationsbasierte longitudinale deutsche Studie die zeigt, dass das Übergewicht von Jugendlichen in den ersten fünf Lebensjahren entstanden ist.  Bei frühem Erkennen eines Gewichts- oder BMI-Anstiegs – «Perzentilenkreuzen» nach oben innerhalb des Normbereiches – kann oft mit geringem Beratungsaufwand das Erreichen einer Adipositas verhindert werden, s. Abbildung 1 (online). Aber wir sehen die übergewichtigen Kinder gemäss der KIDSSTEP-Studie erst mit 11 bis 12 Jahren. Wir erkennen das Kinder-Übergewicht also zu spät! 

Kinderärztinnen und -ärzte sind Präventionsmediziner und können bei den Vorsorge- oder Gelegenheitsuntersuchungen diesen Übergewichts-Trend erkennen und eine Beratung einleiten. 

Mütter-Väter-Beraterinnen (MVB) sind geeignet und werden (u.a. am OKS) geschult für die Betreuung von Kleinkindern mit Übergewichtsrisiko, denn es ist lediglich dafür zu sorgen, dass die aktuellen Ernährungs- und Lebensstil-Empfehlungen umgesetzt werden. Gerade aber die Risiko-Gruppen mit Migrationshintergrund oder Bildungsferne nehmen die Vorsorge- und Beratungs-Termine nicht wahr bzw. betreut die Mütter-Väter-Beratung nach unseren Schätzungen nur ein Drittel der Kinder aller Geburten im Kanton St. Gallen. Die Hebammen hingegen betreuen noch über 80% der Neugeborenen während des 1. Lebensmonats! Daher sind sie die wichtigste Zielgruppe gewesen.

Abbildung 1:

 

 

Kurzum, wie Dr. Laimbacher bereits vor 15 Jahren anregte, braucht es eine perinatale Adipositas-Prävention und auch postnatal Fachpersonen, die geschult sind, Kinder-Übergewichts-Risiken früh zu erkennen, z.B. anhand des Eltern-Übergewichts, und die Familien einer Beratung zuzuführen.

Daher hat das Ostschweizer Kinderspital sich am Projekt «Starke Familie» beteiligt, Abb. 2. Gefördert von Gesundheitsförderung Schweiz und unter der Leitung des Fachverbands AKJ fokussierte dieses 2019 bis 2021 auf die Früherkennung und -intervention bei Familien mit übergewichtigen Kleinkindern bzw. mit Übergewichtsrisiko. Im Rahmen des Settings der postnatalen Vorsorge-Untersuchungen wurde ein neues Versorgungsmodell aufgebaut, welches die Zusammenarbeit zwischen den involvierten Gesundheitsfachpersonen organisatorisch und inhaltlich fördert. Primäre Zielgruppen sind Hebammen und Mütter-Väter-Beraterinnen, sekundär werden Haus- und Kinderärztinnen, Gynäkologinnen, Pflegefachpersonen und Mitarbeitende von kantonalen Präventionsprogrammen eingebunden.

Ein Folgeprojekt ist 2022 bewilligt worden für die Optimierung der Vernetzung mit dem kantonalen Projekt «frühe Förderung», welches auch den Kinderschutz einschliesst, da bei unbehandelter extremer Adipositas gelegentlich Gefährdungsmeldungen vorgenommen werden müssen oder psychosoziale Probleme mit dem Übergewicht vergesellschaftet sind.

Abbildung 2:

 

 

Schwerpunkte des Projektes sind Sicherung der Beratungsqualität durch Fortbildung und Erstellen von «Beratungspaketen» (Empfehlungen SGP, MIAPAS,…) für die nichtärztliche Versorgung von Kindern im Alter von 0-5 Jahre aus Familien mit Übergewicht und Verbesserung der Vernetzung der Fachpersonen.
Für die Dokumentation nutzen die nichtärztlichen Fachpersonen das Gesundheitsheft – also reinschauen! Bei besonderen Risiken, nicht nur betreffend Übergewicht, erstellen die Hebammen einen Übergaberapport für Kinderärztinnen und anderen Fachpersonen, damit die Weiterbetreuung gewährleistet ist.
Ausserdem gibt es ein Ablaufdiagramm – wer macht was und informiert wen - und eine kontinuierliche Arbeitsgruppe für Neugeborene und Kleinkinder mit Hebammen, Mütter-Väter-Beraterinnen Haus- und Kinderärztinnen und Gynäkologinnen. Diese interprofessionelle Arbeitsgruppe (Dr. Elena Schwyter, Verein Ostschweizer Kinderärzte) kann bei grundsätzlichen Problemen angerufen werden und koordiniert die Zusammenarbeit.

Die jeweiligen Berufsverbände übernehmen zukünftig Fortbildungen und Überarbeitungen der Beratungsunterlagen auch nach Projektende, so dass in den medizinischen Bereichen das Projekt «selbständig» geworden ist.

Fokus 2022-1

Brigitta Oertle, Leiterin Pflege und Betreuung

«Fredy bi de Lüt» – zur Pensionierung von Fredy Lanz

Seit seinem Eintritt ins Kispi im Jahr 2003 hat sich Fredy Lanz stets für die Ausbildung Pflege eingesetzt und sich mit dem OKS und seinen Werten identifiziert. Engagiert hat er sich auch für erweiterte Aufgaben und Funktionen interessiert und diese über viele Jahre hinweg übernommen. Z. Bsp. als Mitglied im Redaktionsteam der Hauszeitung und im Careteam und als Organisator der Aktion «Bike to work». Als Leiter Ausbildung Pflege und in seinen verschiedenen Aufgaben standen für Fredy Lanz stets die Menschen mit ihren Bedürfnissen, Anliegen und Interessen im Mittelpunkt seiner Aufgaben. Als kulturell sehr vielfältig interessierten Menschen werfen, bzw. lesen, hören, schmecken und schauen wir auf seine Jahre im OKS zurück und werfen mit ihm einen Blick in seine «neue» Zukunft als Pensionierten: 

Lieber Fredy, du bist ja sehr vielseitig interessiert, du liest viel, musizierst selber, man trifft dich im Theater, Konzert und im Kino. 

Welchen Titel trägt das Buch, das du von deinen fast 20 Berufsjahren im OKS schreibst und wie lauten die einzelnen Kapitel?

«Auf dem Weg zum Erfolg»
«Einstieg in die Kinderpflege»
«Strukturen einer langjährigen Tradition»
«Veränderungen in der Bildungslandschaft»
«Der Kinderbonus»
«Hoffnungen und Enttäuschungen»
«Dem Nachwuchs gehört die Zukunft»
«Grosse Dankbarkeit»

Du spielst selber Saxophon; welchen Musikstil wählst du für die «Vertonung» deiner Kispijahre?

Ich liebe Jazz, alten Jazz, wo noch Harmonien erkennbar sind, wo aber auch mal Platz für Solos und Improvisation ist. Das Aufeinander hören, sich gegenseitig Raum geben, um sich entwickeln zu können, hat mich in der Musik wie auch im OKS weitergebracht. Dass es zu einem geniessbaren Ganzen wurde, brauchte es die verschiedenen Stimmen, Instrumente, sprich Menschen und Kompetenzen.

Stell dir vor du kochst ein 3-Gängemenü. Welche Gänge wählst du, um deiner Kispi-Zeit die passende kulinarische Note zu geben?

Vorspeise «Ausbildungsreform»

Zu Beginn meiner Tätigkeit am OKS war da noch die Schule für Gesundheits- und Krankenpflege mit der beiden Ausbildungsgängen DN 1 + 2. Die Auflösung der Pflegeschulen und der Übergang zur Höheren Fachschule BZGS war eine grosse Veränderung in der Ausbildungstradition des OKS. 

Hauptgang «Ausbildungsqualität»

War geprägt durch viele Auszubildende, die sich voller Erwartungen im Kispi beworben haben. Durch ein differenziertes Selektionsverfahren haben wir in den verschiedenen Ausbildungsgängen immer hochmotivierte und engagierte Auszubildende. Die Pflege mit der hohen Ausbildungsqualität war mir stets im Fokus. 

Dessert «Nachfolge»

Dass mit Angela Niederer eine kompetente Nachfolgerin für mich gefunden wurde versüsst den Abschluss meiner Berufskarriere am OKS. Ich wünsche ihr alle Gute.

Serie, Krimi, Thriller, Drama, Heimatfilm ... oder? Welche Art Film unter welchem Titel drehst du?

«SRF bi de Lüt», oder «Donnstig-Jass»! Ich bin gerne mit Menschen zusammen, dabei wird oft gut gekocht, gegessen und gespielt. Meist einfache Spiele, aber auch mal strategisch herausfordernde. Das wird mir sicher fehlen. Ich habe es geliebt, in den Bewerbungsgesprächen junge Menschen besser kennen zu lernen und zu erfahren, warum sie sich für den Beruf der Pflege entschieden haben. Und dann mitzuerleben, wie sie sich entwickeln bis zum erfolgreichen Abschluss.

Und jetzt Ruhestand! Was nun? Ist das noch ein Science-Fiction oder hat der kommende Zustand für dich schon Gestalt angenommen? 

Ich sehe sehr gerne Science-Fiction-Filme, auch mal Alte um mich zu amüsieren, was damals als Zukunftsvision angesehen wurde. Vermissen werde ich die vielen guten Kolleg*innen und Mitarbeiter*innen, wie auch treue Wegbegleiter*innen, wie z.B. von der Frühgebetsgruppe am Mittwochmorgen.

Für meine Zeit, die auf mich zukommt, habe ich konkrete Projekte: Ich werde mich weiterhin als Aufgabenhilfe und Mitarbeiter für die Quartierkinder im Verein openHouse engagieren. Musikalisch werde ich weiterhin in der Jazzcombo spielen und im Gospelchor singen. Dann habe ich geplant mein eigenes Alphorn zu bauen und ich werde wieder anfangen Klavierstunden zu nehmen.

Vielleicht werde ich auch mal Grossvater? Doch darauf habe ich keinen Einfluss, würde mich aber sehr freuen und viel Zeit mit meinen Grosskindern verbringen wollen.

Grössere Velotouren stehen auch an, z.B. der Elbe entlang nach Hamburg. Es wird mir sicher nicht langweilig.

Und dann freue ich mich, wenn mir an SBK-Kongressen oder sonst bei Gelegenheiten bekannte Gesichter begegnen und ich mich austauschen kann, wie sich das OKS weiterentwickelt, besonders natürlich im Ausbildungsbereich.

Lieber Fredy, herzlichen Dank für den spannenden Einblick rückwärts und vorwärts in deine Zeiten. Von Herzen DANKEN wir dir für dein langjähriges Engagement und deinen grossen Einsatz für die Ausbildung Pflege, für deine Treue, für dein Interesse und die kollegiale Zusammenarbeit. Für alles Kommende, das ja schon ein konkretes Drehbuch hat, wünschen wir dir ganz viel Freude, Glück, Gesundheit und viele Menschen um dich herum.

Fokus 2021-4

Roman Baker, Fachmann Finanz- und Rechnungswesen eidg. FA, Leiter Finanzbuchhaltung

Finanzbuchhaltung – Mehr als nur Lohnauszahlung

Seit November 2011 bin ich verantwortlich für unsere Finanzbuchhaltung. Zusammen mit meinem Team konnte ich die Abläufe verschlanken und effizienter gestalten. Die vielseitige Arbeit und vor allem das eingespielte Umfeld am Kinderspital hat gleichzeitig auch mich persönlich weiterentwickelt. 

Neue Abläufe

Auch in der Finanzwelt unterliegen wir verschiedenen Interessensgruppen und einem engen Korsett von buchhalterischen Regelwerken und Gesetzen, was jeden Schritt zur Vereinfachung sehr komplex machen kann. In der Finanzbuchhaltung verfolgen wir konsequent das Ziel, dass jede Anpassung von bisherigen Abläufen eine Vereinfachung für alle darstellen muss. Ausnahmen sind natürlich Anpassungen aufgrund von Gesetzes- oder Regelwerkänderungen.

Die Klischees

Für viele Mitarbeiter am Ostschweizer Kinderspital erfüllt die Finanzbuchhaltung vor allem die beiden Klischees, der Lohnauszahlung «kannst du schauen, dass ich etwas mehr Lohn erhalte?» oder die, die wegen 5 Franken anrufen «müsst ihr immer so kleinlich sein?». Die Finanzbuchhaltung ist viel mehr und vor allem nicht zuständig für die Lohnzahlungen und ja, wir müssen kleinlich sein.

Hauptaufgaben

Zu den klassischen Aufgaben der Finanzbuchhaltung, wie die Überweisung und korrekte Verbuchung der Kreditoren-Rechnungen oder das Inkasso der Patientenrechnungen, führen wir auch die Anlagenbuchhaltung, heisst sämtliche beweglichen und unbeweglichen Wertgegenstände, welche mehr als ein Jahr genutzt werden. Wir stellen mit unserem Hauptbuch sicher, dass unsere Bilanz und Erfolgsrechnung, welche nach aussen präsentiert wird, in hoher Qualität, den gesetzlichen Vorgaben und im Einklang mit den Rechnungslegungsstandards entsprechen.

Delikate Sonderaufgabe

Die Sicherstellung von genügend Liquidität, die uns auch noch möglichst wenig kostet, ist im heutigen Zinsumfeld der Finanzinstitute wesentlich anspruchsvoller geworden. Die Bautätigkeiten für unseren Neubau und daraus resultierende, teils hohen Rechnungen, erschweren die Zukunft gerichtete Liquiditätsplanung zusätzlich. Mit eigens entwickelten Instrumenten, versuchen wir auf ca. drei Monate im Voraus den Liquiditätsbedarf möglichst genau zu berechnen. Der monatlich abgehaltene Informationsaustausch sämtlicher Abteilungen vom Bereich «Betrieb & Finanzen» dient uns dabei als wichtiges Hilfsmittel. Weiter sind wir darauf angewiesen, dass Kreditoren-Rechnungen sehr zeitnah an unser Team weitergeleitet werden. Dadurch beschaffen wir uns das nötige Zeitfenster bei einem Engpass angemessen reagieren zu können. Bleiben Rechnungen zu lange ausserhalb unseres Einflussbereichs, wird uns dadurch die Reaktionsfähigkeit eingeschränkt.

Spitzfindigkeit der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV)

Der Artikel 21, Abs. 2, Ziff. 28, Bst. c im Mehrwertsteuergesetzt besagt, dass Leistungen zwischen Anstalten oder Stiftungen, die ausschliesslich von Gemeinwesen gegründet wurden, und den an der Gründung beteiligten Gemeinwesen und deren Organisationseinheiten von der Mehrwertsteuer befreit sind. 

In unserem Fall, würden auch Leistungen zwischen dem Kantonsspital St. Gallen und der SOKS ohne Ausnahme steuerbefreit, wäre da nicht die Spitzfindigkeit der ESTV, die sich dabei auf unsere Gründungsurkunde aus dem Jahre 1966 beruft. In der Urkunde wird der Verein Ostschweizer Säuglings- und Kinderspital erwähnt, dessen Tätigkeit lediglich die Sammlung von Spenden für den Bau des Kinderspitals bezweckte. Die ESTV akzeptiert auch die faktische Neuschrift der Stiftung nicht, bei der nur noch die Kantone und Liechtenstein als Träger auftreten. Für die bevorstehende Teilrevision des Mehrwertsteuergesetzes haben wir nun selbständig eine Gesetzesänderung formuliert, die via Kanton St. Gallen auch den Weg in die Botschaft an den Bundesrat gefunden hat. Zurzeit arbeiten wir intensiv an der Bildung von Allianzen mit anderen betroffenen Institutionen. Im nächsten Schritt soll unser Anliegen im National- und Ständerat das politische Parkett betreten. 

Inkasso

Die Debitorenbuchhaltung ist für das Inkasso und somit unsere Haupteinkünfte zuständig. In der grossen Masse verläuft alles elektronisch, heisst die Zahlungen der ausgestellten Rechnungen finden via File unserer Finanzpartner direkt und elektronisch den Weg in unser System. Probleme bereiten uns die Fälle, bei denen die Krankenkassen aufgrund Leistungsaufschub, eine Übernahme der Kosten verweigern. Daraus resultieren oft Rechtsfälle, die uns über Monate oder gar Jahre immer wieder beschäftigen. Leider führen immer mehr dieser Fälle zu Betreibungen und Zahlungsausfällen. Es ist verständlicherweise unser Anliegen, bereits bekannte Fälle mit einem Depot vorgängig zu versehen, um Zahlungsausfälle und kostspielige Rechtsfälle zu vermeiden.

Unsere Arbeit in der Zukunft

Die Finanzbuchhaltung wird sich auch zukünftig sehr verändern, die elektronische Finanzwelt macht auch vor unserer Buchhaltung nicht Halt und wir versuchen die besten Neuerungen für uns, aber vor allem auch für das Spital und seine Mitarbeitenden zu nutzen, um Ihre Arbeit möglichst zu erleichtern. Für das nächste Jahr soll eine fundamentale Änderung erfolgen, leider können wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht viel verraten, aber es wird spannend für Sie alle.

Persönlich möchte ich mich insbesondere bei meinem Team; Janine Akermann und Nicole Terziyan bedanken, die mit viel Elan, Innovation und Fachwissen mithelfen uns täglich zu verbessern. 

Zum Schluss noch dies

Bei meinem ersten Jahresabschluss im 2011, verzeichnete die SOKS einen Umsatz von ca. 74 Mio., im 2020 bereits einen Umsatz von 110 Mio., was eine Steigerung von knapp 50% bedeutet. Die Anzahl der Kreditoren-Rechnungen hat sich in dieser Zeit um 70% erhöht, nämlich von 6'122 (2011) auf 10'382 (2020). Trotz der offensichtlichen Mehrbelastungen, ist es uns gelungen Stellenprozente zu reduzieren, bzw. nicht mehr zu ersetzen.

Rosalia Mittelholzer, Fachspezialistin Unternehmenskommunikation, KSSG

Zeit, sich zu beschnuppern

Voraussichtlich ab Ende 2025 wird die Spitalpharmazie des KSSG - mit personeller und fachlicher Unterstützung des OKS - die vollumfängliche pharmazeutische Betreuung auf dem gemeinsamen Campus sicherstellen. Auch wenn die beiden Spitalpharmazien derzeit räumlich noch nicht an einem Ort sind, organisatorisch sind sie bereits einen Schritt voraus: Daria Koch, Apothekerin, arbeitet seit einem Jahr im Doppelmandat für das OKS und das KSSG.

Apothekerin Daria Koch kümmert sich am Ostschweizer Kinderspital (OKS) dienstagnachmittags und mittwochs um Aufgaben wie Fachauskünfte, den Einkauf von Arzneimitteln, die Stammdatenerfassung, die Beratung und Unterstützung in allen Arzneimittelfragen wie beispielsweise Kompatibilitätsanfragen, Interaktionsüberprüfungen, Arzneimittelanwendungen - kurzum, um die ganze Palette an Arbeiten, die in einer Spitalpharmazie anfallen. An den restlichen dreieinhalb Tagen ist sie am Kantonsspital St.Gallen (KSSG) tätig und ist dem Team des Fachbereichs ‚Klinischer Pharmazie‘ zugeteilt.

„Die Arbeit ist äusserst spannend und abwechslungsreich“, schwärmt Daria Koch. „Am OKS, wie auch am KSSG ist kein Tag wie der andere, die Aufgabenvielfalt ist riesig.»

Zukunftsorientierte Personalplanung

Eigentlich entstand die Idee einer gemeinsamen Anstellung aus der Not. Am OKS sollte der Personalbestand der Spitalpharmazie um eine 40-Prozent-Anstellung erweitert werden. Wohlwissend, dass es eher schwierig ist, geeignete Mitarbeitende mit Erfahrung im Teilzeitpensum für die Spitalpharmazie zu rekrutieren, klopfte Vreni Nagel, Leiterin Services am OKS, kurzerhand an der Tür von Daniel Fetz, Leiter Spitalpharmazie am KSSG. Sie erzählte ihm von der Idee, gemeinsam eine Hundertprozent-Stelle auszuschreiben im Hinblick auf die intensivere Zusammenarbeit ab 2025 im Neubau und hält fest: „Dies ist eine grosse Chance für uns beide und wir können uns gegenseitig Einblick in die Abläufe gewähren und Verständnis schaffen.“ Daniel Fetz bot ihr sofort Hand vor dem Hintergrund: „Eine Person, die Einsicht in beide Betriebe hat und auf beiden Seiten Möglichkeiten zur Verbesserung aufzeigen kann, erachtete ich als sehr gute Möglichkeit, um die Synergien bestmöglich zu nutzen.“

Gegenseitiger Wissenstransfer

Bis anhin wurden vorwiegend Präparate ausgetauscht. Seither erweitert sich die Zusammenarbeit auf gemeinsame Prozesse und einen intensiveren Informationsaustausch. Daria Koch erlebt dies Tag für Tag bei ihrer Arbeit. Beispielsweise könne sie jeweils beim anderen Betrieb etwas im System nachschauen oder jemanden kurz kontaktieren, wenn sie über ein bestimmtes Arzneimittel oder über die Form der Verabreichung etwas wissen müsse. Dies könne beispielsweise bei Lieferengpässen von Arzneimitteln sein, wo man sich über mögliche Ersatzpräparate bespricht. „Dass ich die Menschen von beiden Seiten kenne, macht den Austausch sehr viel einfacher. Auch ist die Hürde vermutlich kleiner, Verbesserungsvorschläge einzubringen“, berichtet die Ostschweizerin.

Miteinander für die beste Lösung

„Anfänglich spürte ich jedoch eine gewisse Zurückhaltung auf beiden Seiten“, verrät Daria Koch, „doch die war schnell verflogen.“ Denn schlussendlich arbeiten alle für das gleiche Ziel: „Für die Patientinnen und Patienten zum richtigen Zeitpunkt hochwertige Arzneimittel zur Verfügung zu stellen“, hält Vreni Nagel fest. Daniel Fetz fügt hinzu: „Der Patient steht im Mittelpunkt. Indem wir über den Tellerrand blicken, können wir den Horizont erweitern und noch sehr viel dazulernen.“

Beispielsweise ist für das Team der Spitalpharmazie am KSSG die Pädiatrie ein neues Gebiet und komplett anders verglichen mit den Bisherigen. Das OKS wiederum befindet sich im Bereich der Klinischen Pharmazie erst im Aufbau.

Beidseitiges Interessensfeld: ‚Klinische Pharmazie‘

Und genau im Bereich der Klinischen Pharmazie soll sich künftig einiges tun. Die Spitalpharmazie des KSSG ist seit Anfang 2021 als Weiterbildungsstätte akkreditiert und kann die beiden Weiterbildungen ‚Spitalpharmazie‘ und ‚Klinische Pharmazie‘ anbieten. Nun soll der Bereich ‚Klinische Pharmazie‘ sowohl seitens des KSSG als auch des OKS ausgebaut werden. Daria Koch ist die erste Kandidatin, die den praktischen Teil am KSSG absolviert. Sie begleitet am KSSG zweimal wöchentlich die Arztvisiten auf unterschiedlichen Pflegestationen. Im Vorfeld einer Visite führt sie eine systematische Überprüfung der Arzneimitteltherapie der jeweiligen Patientinnen und Patienten durch mit dem Ziel, diese zu optimieren. Dazu gehört beispielsweise, dass sie auf mögliche Wechselwirkungen zwischen Arzneimittel hinweist oder die Dosierung bei Patienten mit Niereninsuffizienz überwacht. Auch kontrolliert sie, ob eine bestimmte medikamentöse Behandlung überhaupt notwendig ist. Diese Empfehlungen werden dann im Rahmen der Visite mit dem Ärzte- und Pflegeteam besprochen.

Am OKS wiederum werden seit zwei Jahren im Rahmen von Sitzungen das Ärzte- und Pflegeteam in Bezug auf die Medikation der Patientinnen und Patienten auf der Intensivstation beraten. Künftig soll Daria Koch auch hier auf die Station gehen und ihre Erfahrungen einbringen. Geplant ist zudem ein Ausbau auf weitere Abteilungen.

Hürden einer gemeinsamen Anstellung

Zwar bringt dieses Doppelmandat beidseitig Vorteile, doch einige Knackpunkte waren dennoch zu meistern. „Der Abstimmungsbedarf war anfangs relativ gross“, erzählt Daniel Fetz. So raten die beiden Verantwortlichen pro Unternehmen einen separaten Stellenbeschrieb aufzusetzen. Vreni Nagel berichtet zudem, die beiden Unternehmen hätten unterschiedliche Anstellungsbedingungen. Diese seien jedoch direkt und unkompliziert mit dem HR bereinigt worden.

Auf zu neuen Ufern

Und was ist das Geheimrezept für eine erfolgreiche Zusammenarbeit? „Eine offene, konstruktive und zukunftsgerichtete Haltung“, fasst Daniel Fetz zusammen. Vreni Nagel fügt an: „Offen und unkompliziert aufeinander zugehen.“ Diese Offenheit konnte Daria Koch seit Stellenantritt sehr stark spüren und bestätigt: „Ich wurde von beiden Teams herzlich aufgenommen und fühlte mich schnell sehr wohl.“ Bis zum Start der gemeinsamen Spitalpharmazie Ende 2025 dauert es noch rund vier Jahre. Dennoch ist Daria Koch der Meinung: „Es ist wichtig, dass sich die Mitarbeitenden der Bereiche, die später intensiver zusammenarbeiten oder zusammengelegt werden, bereits jetzt beschnuppern können und sich näherkommen.“ Mit dem Umzug in den Neubau auf den Campus des Kantonsspitals St.Gallen kommt wohl noch viel Neues hinzu. Neue Infrastruktur, neue Prozesse und neue Teamkonstellationen. Und sie fügt hinzu: „Mitarbeitende sollten schon frühzeitig in den betreffenden Bereichen beider Unternehmen mitarbeiten, so sind die Teams bis zum Umzug bestens startklar!“

Fokus 2021-3

Dr. med. Philip Broser, Oberarzt mbF Neuropädiatrie

Neueste entwicklungen in der Quantensensorik eröffnen ein neues Fenster in die Muskelphysiologie

 

Links klassische Nadelmyographische Untersuchung. Zu erkennen ist der Unterschenkel eines einjährigen Kindes mit der EMG Nadelelektrode platziert im Musculus tibialis anterior. Auf der rechten Seite der Abbildung sieht man den (hypothetischen) Untersuchungsablauf mit der Magento Myography bei einem Kind. Zu erkennen ist der Unterschenkel eines einjährigen Kindes. Zusätzlich sieht man den OPM Sensor (schwarzer Quader mit 1 beschriftet) welcher vor dem Musculus tibialis anterior platziert ist und eine detaillierte Untersuchung des Muskel durchführt.

Neuromuskuläre Erkrankungen sind eine grosse Gruppe von pädiatrischen Erkrankungen die jeweils für sich selber genommen selten sind aber in Summe doch regelmässig in der Kinderheilkunde zu finden sind. Die Spinale Muskelatrophie ist eine der häufigsten Erkrankungen in dieser Gruppe. Die Diagnose wird heute nach der neurophysiologischen Untersuchung genetisch bestätigt. Jedoch ist die klinische Neurophysiologie für die Verlaufsbeurteilung insbesondere für Kinder unter Therapie mit Spinraza or Onasemnogene abeparvovec weiterhin ein wichtiges Werkzeug. Ein wesentlicher Teil der neurophysiologischen Untersuchung ist dabei die nadelmyografische Untersuchung. Dabei wird eine Messsonde – die EMG Nadel – in den zu untersuchenden Muskel eingebracht und die elektrische Aktivität des Muskels gemessen.

Mit Hilfe dieser Technik wird zum einem untersucht wie gut die Verbindung – die Innervation - zwischen Nervensystem und Muskel ist und zum anderen wird untersucht, ob die Neuromuskuläre Einheit gesund ist. Diese Untersuchung ist sehr präzise und spezifisch doch leider schmerzhaft und daher in der Routine nur schwer einsetzbar.

Einem Forschungsteam unter der Leitung der Einheit für klinische Neurophysiologie des OKS ist es nun gelungen den Grundstein einer neuen Methode zu legen, die in Zukunft die gleiche Information scherzfrei und kindgerecht liefern wird. Die Methode öffnet sogar weit darüber hinaus einen tiefen Blick in die Muskelphysiologie.

Die Methode basiert auf den neusten Entwicklungen in der Quanten Sensorik. Mit Hilfe dieser Quantensensoren, den optically pumped magnetometers OPM wird das winzige Magnetfeld, das die Muskel bei Aktivität generieren, gemessen. Da das Gewebe zwischen Muskel und Sensor wie z.B. Haut, Bindegewebe und die Muskelfaszie das kleine Magnetfeld nahezu ungehindert passieren lassen, kann die Methode von ausserhalb des Körpers berührungsfrei messen.

Das Forschungsteam konnte schon bei Erwachsenen zeigen, dass die Methode geeignet ist, zum einen die Funktionalität der Muskulatur (1) präzise zu messen und zum anderen auch zeigen, dass krankhafte Aktivität gemessen werden kann (2). Aktuell muss die Methode noch in einer abgeschirmten Kammer durchgeführt werden, mit der nächsten Sensorgeneration wird die Methode in einem klassischen Elektrophysiologischen Labor durchgeführt werden können und wird uns daher sicherlich in den nächsten Jahren auch am Kispi zu Verfügung stehen.

Für die Pionierleistungen auf dem Gebiet der klinischen MMG wurde diesjährig Herrn Dr. Philip Broser, OA mbF Neuropädiatrie der 2. Preis der Anna Müller – Grocholski Stiftung 2021 durch die Schweizerische Gesellschaft für Neuropädiatrie verliehen.

Wir hoffen das die Entwicklung der Technik so rasant weitergeht und den Kindern in der Ostschweiz bald eine kindgerechte, schmerzfreie und präzise Technik zur Untersuchung der Muskelphysiologie zur Verfügung steht.

 

1: P. J. Broser, T. Middelmann, D. Sometti, and C. Braun. Optically pumped magnetometers disclose magnetic field components of the muscular action potential. J Electromyogr Kinesiol, 56:102490, Feb 2021

2: Optically pumped magnetometers reveal fasciculations non-invasively. Justus Marquetand, Thomas Middelmann, Juergen Dax, Sangyeob Baek, Davide Sometti, Alexander Grimm, Holger Lerche, Pascal Martin, Cornelius Kronlage, Markus Siegel, Christoph Braun, Philip Broser, Clinical Neurophysiology, 2021, ISSN 1388-2457, https://doi.org/10.1016/j.clinph.2021.06.009.

 

Dr. med. Christian Kahlert, Leitender Arzt Infektiologie

Antworten auf Fragen zu COVID-19 aus dem Spitalalltag.

Die zentrale Frage in der aktuellen Pandemie ist, wie kommen wir aus der ständigen Unsicherheit in eine Normalität zurück? Mittlerweile ist klar, dass der Kontakt mit SARS-CoV- 2 zu einem guten Immunschutz zumindest für eine gewisse Zeit führt. Der Weg dahin führt über Infektion oder Impfung. Nichtimmune haben inzwischen Wahlfreiheit.

Immunität und damit ein Schutz gegenüber dem neuen Virus wird vermittelt von Antikörpern und spezialisierten Immunzellen (T-Zellen). Beide helfen, bei einem späteren Kontakt mit SARS-CoV-2 einen schweren Verlauf zu verhindern. Beide lassen sich heute über spezialisierte Labordiagnostik bestimmen. Das körpereigene Immunsystem entwickelt passende (spezifische) Antikörper und entsprechend Immunzellen als Schutz gegen das Virus. Beide bildet unser Immunsystem, entweder nach Infektion (Kontakt mit dem ganzen Virus) oder nach Impfung (Kontakt mit dem "Kroneneinweiss" Spike an der Oberfläche des Virus). Je mehr Menschen eine Immunität haben, desto unwahrscheinlicher wird eine 5., 6. oder 7. Welle.

Wie unterscheiden sich Infektion und Impfung?
Der Verlauf einer Infektion ist nicht planbar. Das ist ein Nachteil. Die Infektion kann abhängig von der Virusmenge, die zu Beginn auf den Körper trifft, aber auch je nach Zustand des Immunsystems (abhängig von Alter, Risikofaktoren etc.) milder oder schwerer verlaufen. Auch bei mildem Verlauf können Komplikationen wie das Long Covid auftreten. Dafür ist die Immunität nach Infektion vielfältiger. Gebildet werden z.B. Antikörper gegen viele verschiedene Virusbestandteile. Im Labor messbar sind Antikörper gegen das Nukleokapsid (anti-N) und gegen das Spike-Protein (anti-S). Damit ist der Vorteil der Infektion gegenüber der Impfung die Breite der Immunantwort.

Besser vorhersehbar ist der Verlauf der Immunreaktion nach Impfung. Das ist ein Vorteil. In der Schweiz sind zwei verschiedene Impfstoffe verfügbar. Sie gehören zu einer neuen Kategorie von Impfstoffen, den mRNA-Impfstoffen. Aus mRNA bilden Körperzellen das «Kroneneinweiss» Spike und das Immunsystem bildet dagegen Antikörper (anti-S) und passende Abwehrzellen (Spike-spezifische T-Zellen). Dieser Prozess läuft tagtäglich mit anderen Eiweissen millionenfach in unserem Körper ab und ist Voraussetzung unseres Lebens. Wichtig ist zu wissen, dass mRNA nicht in den Zellkern gelangt, wo sich die Erbinformation DNA befindet. Die mRNA und die Erbinformation DNA vermischen sich daher nicht. Hingegen wird die mRNA aus der Impfung im Verlauf weniger Tage wieder abgebaut und damit hört auch die Bildung von «Kroneneiweiss» auf.

Wann macht einen Antikörpertest Sinn?
Bisher ist die Suche nach Antikörpern bestimmten Fragestellungen vorbehalten. Der Grund ist, dass bisher weitgehend unklar ist, welche Antikörpermenge (Titer) ausreicht, um ein schweres COVID-19 zu verhindern. Die Aussage nach einer Antikörperbestimmung bleibt damit noch begrenzt auf «positiv» oder «negativ» und welche Typen von Antikörpern (anti-S oder anti-N), kann aber nicht die Frage «geschützt oder nicht geschützt?» beantworten. So ist die Unterscheidung möglich, ob Antikörper durch Impfung (nur anti-S) oder Infektion (anti-N und anti-S) entstanden sind. Andere Situationen, in denen wir Antikörper suchen sind zum einen Kinder mit klinischen Zeichen einer entzündlichen Folgeerkrankung (PIMS). Dort muss die Frage nach dem Zusammenhang mit einer durchgemachten Infektion geklärt werden. Zum anderen bestimmen wir Antikörper bei Patienten mit schwerer Immunsuppression, wenn es um die Frage nach einer 3. Impfung bei dieser speziellen Patientengruppe geht.

Wie müssen sich geimpfte Personen mit Symptomen wie Fieber und Husten verhalten?
In diesen Situationen sollte im Moment immer eine SARS-CoV-2-Diagnostik erfolgen. Der Nachweis einer durchgemachten Infektion erlaubt es, nur einmalig zu impfen. Zudem wollen wir wissen, wie häufig Geimpfte erkranken. Alles, was wir bisher sehen zeigt, dass die Infektion COVID-19 bei Geimpften viel seltener vorkommt und fast nie schwer verläuft.

Was sind die neusten Erkenntnisse der Impfung?
Weltweit wurden inzwischen über 5 Milliarden Impfungen verabreicht. Wir überblicken einen Zeitraum von fast 12 Monaten und sehen klar, dass die Wirksamkeit aussergewöhnlich hoch und die Verträglichkeit gut sind. 12 Monate sind schon sehr gut, aber Langzeiterfahrungen brauchen eben Zeit. Deshalb müssen wir auch weiterhin Ereignisse nach Impfungen gut beobachten, zusammentragen und auswerten. Was wir bisher sehen sind einige Komplikationen, die auch nach Infektion auftreten. Die Häufigkeit von Komplikationen (z.B. vorübergehende Herzmuskelentzündung) nach einer Impfung ist dabei um ein Vielfaches seltener als nach Infektion. Auch ist die Impfung sehr gut wirksam, aber nicht perfekt. D.h. nicht alle Geimpften, sondern etwa 90 bis 95 von 100 Personen haben nach der Impfung Antikörper. Zudem sinken Antikörper über die Zeit wieder ab, u.a. in Abhängigkeit des Zustands des Immunsystems ab (z.B. je älter, desto rascher), ein gut bekannter Prozess, der auf praktisch alle Infektionen und Antikörper zutrifft. Beides führt dazu, dass wir auch wenige Geimpfte sehen, die eine Krankheit entwickeln oder bei denen SARS-CoV-2 nachgewiesen wird. Praktisch immer sind die Verläufe dann aber deutlich milder. Jeder erneute Kontakt mit dem Virus nach einer Infektion oder Impfung führt zu einer Verbesserung der Immunabwehr. Es gibt daher inzwischen auch Experten, die nach der vollständigen Impfung das Weglassen aller Schutzmassnahmen empfehlen.

Wieso empfiehlst Du die Impfung?
Wie oben angeführt, kommen wir aus der aktuellen Situation nur heraus, wenn möglichst viele Menschen eine Immunität gegenüber SARS-CoV-2 entwickeln. Die Impfung ist kontrollierbarer, die Infektion deutlich weniger. Daher erscheint mir die Impfung der sicherere Weg zur Immunität. Dies ist besonders wichtig, je höher das Risiko einer Person für einen schweren Verlauf ist. Daher steht die Impfung von Kindern (selten schwere Verläufe) erst dann zur Diskussion, wenn möglichst viele der Erwachsenen eine Immunität haben und das Virus trotzdem weiter zirkuliert. Bei den Kindern ist die Diskussion schwieriger, denn es gibt praktisch nie schwere Krankheitsverläufe. Umso weniger darf bei Kindern irgendeine Komplikation nach der Impfung auftreten.

Wie lange forscht man bereits an dem mRNA Impfstoff?
Das Wirkprinzip auf dem die neuen Impfstoffe beruhen, wird seit über 25 Jahren erforscht. Die Entwicklung angestossen hat die ungarische Professorin Katalin Kariko, die 1989 an der Universität von Pennsylvania entdeckt hat, dass wenn mRNA in eine Körperzelle eingebracht wird, ein zugehöriges Eiweiss entsteht. Seither wurde die Anwendung von mRNA weiterentwickelt. Dabei ist auch z.B. ein Ebola Impfstoff entstanden. Es ist daher klar falsch, dass die Technik für diesen Impfstoff zu wenig erforscht ist. Ohne diese jahrelangen Vorarbeiten würde heute dieser Impfstoff gegen SARS-CoV-2 nicht zur Verfügung stehen.

Was sagt der Experte zu den Verschwörungstheorien?
Es ist erstaunlich und zugleich erschreckend, welche fantasievollen, aber auch absurden, weil nicht nachvollziehbaren Theorien in den letzten 18 Monaten zu der Impfung aufgetaucht sind. Angefangen bei Unfruchtbarkeit (Antikörper gegen körpereigene Struktur), über Magnetismus (Impfung enthält Chip), Krebs (Erbinformation wird beeinflusst), Abschalten der Zirbeldrüse (Epiphyse) oder Mensch-zu-Mensch-Übertragung von Impfstoffen (Weitergabe z.B. über Luft) usw. Ich kann die Motivation für die bewusste Streuung von Fehlinformationen nicht nachvollziehen. Alle diese Theorien wurden in Faktenchecks mehrfach widerlegt, halten sich dennoch hartnäckig. Teilweise reicht der gesunde Menschenverstand, um zu verstehen, dass diese Behauptungen nicht stimmen können. Wieso sollte z.B. eine Impfung, die über die Luft oder über die Haut angewendet werden könnte, mit einer Nadel in den Körper eingebracht werden? Wäre es nicht grossartig, wenn wir auf die Nadel verzichten könnten? Natürlich darf andererseits – wie bereits oben ausgeführt – die Impfung nicht verharmlost werden. Sie ist eine medizinische Massnahme und wie bei allen medizinischen Massnahmen bleibt am Schluss immer die Abwägung zwischen Nutzen und Risiken. Für Menschen mit Risikofaktoren für einen schweren Verlauf liegt das Resultat klar auf der Seite der Impfung. Führt die Erkrankung praktisch nie zu einem schweren Verlauf wie bei Kindern wird es sehr viel schwieriger.

 

Fokus 2021-2

Dr. med. Gudrun Jäger, Leitende Ärztin Intensivmedizin/Neonatologie

Einblicke in die humanitäre Arbeit am Beispiel von Sierra Leone

Seit 2016 bin ich mehrfach nach Sierra Leone gereist; ein kleines Land in Westafrika, welches eher durch negative Meldungen in den Nachrichten bekannt ist. Das Land hat bis 2001 einen 10-jährigen, grausamen Bürgerkrieg durchgemacht und wurde 2014 bis 2016 stark von einer Ebola Epidemie betroffen, die die Menschen nachhaltig traumatisiert hat. Zudem ist es eines der Länder weltweit mit einer sehr hohen Mütter- und Kindersterblichkeit sowie einem niedrigen Entwicklungsindex. Ich bin durch die Organisation German Doctors, mit der ich erstmals 1995 in einem medizinischen Einsatz tätig war, nach Sierra Leone gekommen. In den letzten fünf Jahren habe ich das Land mehrfach mit verschiedenen Aufgaben bereist, von denen ich im Folgenden berichten möchte.

Der grösste Anteil der Tätigkeit vor Ort ist sicher die Arbeit für die German Doctors bzw. für die 2018 von mir und einigen Kolleginnen und Kollegen gegründete Partner Organisation Swiss Doctors. Diese beiden Organisationen unterstützen finanziell und durch ehrenamtliche Tätigkeit von Ärzten ein abgelegenes Spital im Süden des Landes, in Serabu. Dieses Dorf hat ca. 5'000 Einwohner, der Einzugsbereich des Spitals umfasst aber ca. 70'000 Menschen. Obwohl das Serabu Community Hospital schon in den 50er Jahren gegründet wurde, war es nie selbstständig und immer abhängig von externer Finanzierung. Ein wesentlicher Aspekt der medizinischen Arbeit vor Ort ist die Behandlung der Kinder und schwangeren Frauen; dies aufgrund der hohen Sterblichkeit in diesen vulnerablen Gruppen. Ausserdem ist in den letzten zehn Jahren der Punkt der Ausbildung sehr in Vordergrund getreten. In Sierra Leone gibt es bei einer Bevölkerung von gut sieben Mio. Einwohnern lediglich ca. 200 Ärztinnen und Ärzte, die überwiegend im Grossraum der Hauptstadt Freetown tätig sind oder im adminstrativen Sektor. Somit war es auch essentiell, die in Serabu Hospital tätigen Community-Health-Officers (von Ihrer Ausbildung her eine Zwischenstellung zwischen Pflegefachperson und Ärzten) und Pflegefachpersonen zu schulen und auszubilden. In den letzten Jahren gelang dies sehr erfolgreich, so dass einige erfahrene Health-Worker inzwischen sehr erfahren sind und – zum Beispiel auch während der Corona bedingten Abwesenheit der europäischen Ärzte während des letzten Jahres – in der Lage sind, die Basisversorgung aufrecht zu erhalten. Dies beinhaltet im Wesentlichen die Versorgung der schwangeren Frauen, Durchführung einer von Fachpersonen begleiteten Geburt und – falls notwendig – Durchführung von Kaiserschnitten. In der Kinderabteilung ist ein hoher Prozentsatz der Kinder an Malaria erkrankt, einer Infektionskrankheit, die insbesondere bei Säuglingen und Kleinkindern zu schweren Verläufen führen kann und für die hohe Sterblichkeit verantwortlich ist. Daneben gibt es viele Atemwegsinfektionen, Haut- Abzesse und weitere Infektionskrankheiten. Im Bereich der Neugeborenen Medizin, die aufgrund der hohen Sterblichkeit (gut 40% der sogenannten «unter fünf Jahren Sterblichkeit» ) eine besondere Aufmerksamkeit erfordert, sind Frühgeburt, Infektionen und schwere Anpassungsstörungen die Haupterkrankungen. In dem Bereich der Neugeborenen Versorgung im Serabu Hospital ist Swiss Doctors auch in der Gruppe der Humanitären Neonatologie der schweizerischen Gesellschaft für Neonatologie vertreten. Besonders erfreulich war der Gewinn des humanitären Preises 2021 und die Ehrung für das Engagement vor Ort (www.neonet.ch) . Das Preisgeld ist für weitere Therapien und Unterstützung dieser Abteilung geplant.

Neben der medizinischen Arbeit und Unterstützung verschiedener Projekte in Asien und Afrika (Indien, Bangladesh, Philippinen, Kenia und Sierra Leone) beinhaltet die Förderung auch verschiedene Partnerprojekte in den jeweiligen Ländern. Dies ist sinnvoll, da die alleinige Versorgung im medizinischen Bereich nicht ausreichend ist, sondern auch die Förderung von Bildung, Zugang zu Wasser, Hygiene etc. wesentlich sind im Sinne einer strukturellen Veränderung. So gehören zu den Partnerprojekten der Swiss Doctors einige Schulprojekte und in Sierra Leone eine gegen weibliche Genitalverstümmelung tätige lokale Organisation, Commit and Act. Diese Organisation konnte ich Ende 2020 und dieses Jahr besuchen und mir einen Einblick in die Tätigkeit verschaffen. Das umfassende Konzept von Aufklärungsarbeit, Anreize schaffen für die Eltern, damit Ihre Töchter nicht beschnitten werden und Unterstützung der Communities und auch der traditionellen Beschneiderinnen (in Sierra Leone «Sowei» genannt) hat mich sehr beeindruckt. Diese grausame Praktik kann nur auf dem Hintergrund der langjährigen Tradition verstanden werden und benötigt umfassende und auf vielen Ebenen ansetzendes Engagement lokaler Organisationen.

Die positiven Auswirkungen von Ausbildung und Schulung haben mich nicht nur im Serabu Hospital überzeugt. Die Stärkung der lokalen Kräfte und Ausbildung der Menschen ist sicher der Weg, der Länder wie Sierra Leone weiter bringen kann und langfristig dazu führen könnte, dass die Menschen auch in ihrer Heimat Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten haben. So bin ich seit einigen Jahren involviert in Planungen für den Aufbau eines nationalen Ausbildungsprogramms für die Community Health worker im Bereich der Kinderheilkunde. Dieses Projekt läuft zusammen mit zwei weiteren humanitären Organisationen und der Regierung von Sierra Leone; ein längerer Prozess mit vielen Treffen und Konferenzen, der hoffentlich zum Erfolg führen wird. Bis es soweit ist, engagiere ich mich mit anderen europäischen Kinderärzten in einem von der WHO initierten Programm mit der Durchführung von praktischen Kursen in Kindernotfall Situationen (ETAT Kurse), eine ähnliche Kurstätigkeit, wie ich es auch in der Schweiz durchführe, aber in einem anderen Setting und mit anderen Schwerpunkten. Dadurch lerne ich auch andere Spitäler im Land kennen und kann mit Kollegen aus der Global Child Health Gesellschaft Kurse abhalten. Die Schulungen an die sehr motivierten Mitarbeiter ist sehr bereichernd und macht Spass.

Eine andere Art der Weiterbildung und Schulung lernte ich im Februar kennen: in der Hauptstadt Freetown soll am grössten Kinderspital des Landes zukünftig eine Facharzt-ausbildung für zukünftige Kinderärzte angeboten werden. Ein ambitiöser Plan in einem Land, indem es bisher praktisch keine Facharztausbildungen gibt und ein erheblicher Anteil der Ärztinnen und Ärzte durch Wegzug ins Ausland verloren geht. Meine Aufgabe bestand in einer Ausbildungsfunktion, zum einen auf der Intensiv Abteilung, zum anderen in den regelmässigen Vorlesungen und Kursen für die Ärzte. Auch in diesem grössten Spital für Kinder (mit 200 Betten) gibt es grosse Herausforderungen betreffend Verfügbarkeit von Medikamenten, Material und qualifiziertem Personal. Für uns gängige Therapien wie Beatmung, Kreislaufunterstützung und Organersatzverfahren sind im ganzen Land nicht möglich für erkrankte Kinder. Dieser Mangel und die fehlenden Möglichkeiten, mit für uns geläufigen Therapien medizinische Hilfe zu leisten, ist manchmal schwer zu ertragen.

Was nehme ich mit von meinen Aufenthalten in Sierra Leone: viele neue Eindrücke, Begegnungen mit Menschen, die trotz grosser Herausforderungen im Alltag nicht verzweifeln und dennoch oft fröhlich sind, lachende Kinder, die sich immer gerne fotografieren lassen und viel Freude an den Bildern haben; und eine grosse Wertschätzung dessen, was ich zu Hause habe sowie die Hoffnung, dass ich mit Ausbildung und Kursen den Menschen etwas Nachhaltiges bieten kann.

Für mehr Info zu den Projekten und über die Swiss Doctors: www.swiss-doctors.org

Fotos des Serabu Hospitals inkl. Notfallraum und Neugeborenen-Abteilung

Fotos von Patientinnen und Patienten sowie ihren Angehörigen aber auch von den Trainings und der Fröhlichkeit der Menschen.

Dr. med. Christian Henkel, Leitender Arzt Psychosomatik/-therapie & Dr. med. Bjarte Rogdo, Leitender Arzt Intensivmedizin/Neonatologie

Das komplette Interview

Seit Kurzem werden im OKS sogenannte M&M-Konferenzen Durchgeführt. Es benötigt Zeit, eine offene Fehlerkultur zu führen, doch der Grundstein ist gelegt. Die wichtigsten Antworten finden sie im Interview mit Christian Henkel (CH) und Bjarte Rogdo (BR).

Was sind M&M-Konferenzen?

CH & BR: M&M bedeutet Morbiditäts- und Mortalitätskonferenz, auch M&M oder MoMo genannt – nicht zu verwechseln mit den leckeren Schokolinsen oder dem bekannten Kinder- und Jugendbuch. 
Im Rahmen von Qualitätsmanagement und Patientensicherheit schaut man retrospektiv unerwünschte Ereignisse genau an, um daraus zu lernen, dh. Abläufe und Fertigkeiten zu verbessern. Und die Konferenzen sind ausdrücklich interdisziplinär angelegt.   

Was ist das Ziel von M&M-Konferenzen?
CH & BR: Aus Fehlern lernen und Wiederholungen in zukünftigen Behandlungen, Operationen usw. zu vermeiden. Ausserdem sind sie Trägerin einer Kultur der Leitung, welche durch Respekt und Wertschätzung gekennzeichnet ist.

Worin unterscheiden sie sich von anderen Sitzungsgefässen?
CH & BR: Im Vergleich zu klassischen prospektiven Fallbesprechungen muss der Behandlungsverlauf nicht im Detail dargestellt werden. Es wird auf den wahrscheinlichen Fehlern oder, anders ausgedrückt, auf das «sharp end» einer Handlungskette mit unerwünschtem Ausgang fokussiert. Im Vergleich zur Fallbesprechung ist M&M so weit wie möglich anonym. Im Vergleich zum «critical incident reporting system» (CIRS) sind die Konferenzen nachgelagert und die Diskussion des unerwünschten Ereignisses wird im Plenum geführt, wobei potenziell jede Berufsgruppe, die von dem Ereignis betroffen war, daran teilnehmen kann. 

Wie kam es zur Idee einer M&M-Konferenz am OKS?
BR: An allen Kliniken, an denen ich bisher gearbeitet habe, sowohl in Norwegen und Australien als auch in der Schweiz – mit dem OKS als einzige Ausnahme – waren M&M-Konferenzen ein fester Bestandteil des Qualitätsmanagements. Vor über 20 Jahren wurden sie zwar nicht M&M-Konferenzen genannt, aber bereits damals ging es um das Grundprinzip, dass man Fehler (inklusive Systemfehler), thematisiert und analysiert, um diese in der Zukunft zu verhindern.

Ich habe schon seit meinem Wiedereintritt ins OKS im 2010 dafür plädiert, dass wir M&M-Konferenzen einführen müssen, bin teils aber auf erheblichen Widerstand gestossen («wir können schon über Fehler reden, aber sicher nicht mit den Pflegefachpersonen…»). Wir haben seit einigen Jahren auf der Intensivstation inoffizielle und informelle M&Ms gemacht, sinnvoll sind diese aber nur, wenn sie auf den gesamten Betrieb ausgeweitet werden (inklusive Administration – auch hier kann es Systemfehler geben, die Patientinnen und Patienten gefährden).

Was genau passiert dort?
CH & BR: Der Ablauf der Konferenz ist standardisiert und wird durch einen Moderator oder eine Moderatorin geleitet. Wir richten uns nach dem M&M-Leitfaden der Stiftung für Patientensicherheit. Nach einer kurzen Vorstellung von Inhalt und Stellenwert der Konferenzen durch eine Leitungsperson (Chefarzt oder Pflegeleitung), Hinweisen auf Vertraulichkeit und Vermittlung von Werten und Arbeitskultur am OKS, beginnt eine kurz gehaltene Fallvorstellung. Anschliessend folgt durch den Vortragenden und einen zuvor bestimmten Mentor eine Voranalyse des unerwünschten Ereignisses. Der anschliessende Hauptteil dient der Diskussion im Plenum. Anschliessend werden die wichtigsten Schlussfolgerungen auf einer Folie sowie potentielle Massnahmen festgehalten. Nach der Konferenz entscheiden Moderator, ggf. Mentor, die jeweils betroffene ärztliche und pflegerische Abteilungsleitung, ggf. ein Chefarzt und die Leiterin Qualitätsmanagement über die Konkretisierung der Massnahme. 

CH & BR: M&M-Konferenzen werden in Form eines Beschlussprotokolls dokumentiert (Sharepoint). Schlussfolgerungen und Massnahmen werden nach Absprache den betroffenen Stationen, Abteilungen, Fachbereichen usw. zugestellt. Alle Teilnehmenden sind aufgefordert, mit Hilfe eines ausliegenden Evaluationsbogens M&M Konferenzen kritisch zu bewerten. Wo und wie letzteres einfliesst und kommuniziert wird, ist nicht abschliessend entschieden.

Warum braucht es im OKS M&M-Konferenzen?
BR: In einer Kinderklinik wie dem OKS gehören M&M-Konferenzen einfach dazu – sonst ist man schlichtweg «nicht dabei». Auch der Standard 22 vom SanaCert® verlangt M&Ms als ein wichtiger Pfeiler in der Betreuung von Patientinnen und Patienten. Persönlich finde ich die Rolle der M&M-Konferenzen als Kulturträger einer Klinik sehr wichtig: Wir machen alle Fehler und wir sind in der Lage über diese miteinander zu reden und daraus zu lernen, unabhängig von der Hierarchiestufe. Dabei marginalisiert man auch, dass über Fehler hinter dem Rücken von Involvierten geredet wird. 

Meine Hoffnung ist auch, dass M&Ms die Risikoerhöhung für Patientinnen und Patienten durch die Ökonomisierung der Medizin beleuchten können. Zunehmend geht es Politikern und Spitalverwaltungen darum, das Einkommen zu erhöhen und Ausgaben zu senken ohne Rücksicht auf die Patientensicherheit. Sie ist teuer und eng verknüpft mit genügend gut ausgebildetem Personal. Hier sehe ich potenziell grosse Herausforderungen, um unsere Patientinnen und Patienten auch in Zukunft umfassend betreuen zu können.

CH: Ich habe als Assistenzarzt in der Pädiatrie erlebt wie belastend es sein kann, Teil eines fehlerhaften Ablaufs gewesen zu sein, u.U. mit fatalen Folgen, und dann damit alleine zu bleiben, ohne Austausch mit Vorgesetzten und konstruktiver Aufarbeitung. Ich bin davon überzeugt, dass M&M-Konferenzen nicht nur zukünftige Fehler vermeiden helfen, sondern auch zu einer angstfreien, und wertschätzenden Atmosphäre beitragen können, was sich wiederum auf Motivation und Qualität unserer Arbeit auswirkt.

Gibt es Daten, die zeigen, dass sich in Kinderspitälern mit M&M-Konferenzen die Abläufe verbessern?
CH & BR: In den letzten 20 Jahren resultierte Einiges an Literatur; einerseits zur Verbesserung der Konferenzen und der Kommunikation selbst, andererseits betreffend Qualität der Behandlungen. Einschränkend ist zu sagen, dass unerwünschte Ereignisse etwas Seltenes sind und Messungen des Wiederauftretens an sich eher unwahrscheinlich sind. Von daher fokussieren Studien zu diesem Thema grösstenteils auf die Verbesserung der Qualitätsarbeit sowie der Zusammenarbeitskultur von Institutionen. 

Im Vorfeld der Erarbeitung des Schweizer Leitfadens M&M fand eine nationale Befragung von über 100 Chefärztinnen und Chefärzten der Schweiz statt, welche sich durch die Einführung dieser Konferenzen in ihrer eigenen Institution organisatorische und auch fachliche Lernziele, wie z. B. eine verbesserte Zusammenarbeit, versprachen. 

Wer entscheidet, welche Fälle dort besprochen werden?
CH & BR: Mögliche Fälle werden einem Fallauswahl- und Organisationsteam gemeldet. Die Organisation übernehmen bislang Bjarte Rogdo oder Christian Henkel. Dem Fallauswahlteam gehören Mitarbeitende aus den Bereichen Pflege, Chirurgie, Kinder- und Jugendmedizin einschliesslich Assistenzärzten an. Die Fallauswahl richtet sich nach den Kriterien des Schweizer Leitfadens:  Liegt ein unerwünschtes Ergebnis vor? Handelt es sich um ein potenziell vermeidbares Ereignis bzw. einen vermeidbaren Fehler? Besteht ein möglichst grosses Lernpotenzial? 

Wer darf teilnehmen?
CH & BR: Potenziell können alle am Ereignis direkt oder indirekt beteiligten Berufsgruppen teilnehmen. Direkt Beteiligte werden gezielt eingeladen. Das, was in der Konferenz diskutiert wird, unterliegt der Schweigepflicht ausserhalb des Konferenzraumes. 

Ist es möglich, dass Eltern dabei sind?
CH & BR: Es ist nicht üblich, betroffene Patientinnen und Patienten bzw. Familien zu diesen Konferenzen einzuladen, aber es ist auch nicht ausgeschlossen. Die Organisatoren haben beschlossen, vorläufig ohne Patienten bzw. Eltern Konferenzen abzuhalten. Aktuell sind wir der Meinung, dass zunächst eine gewisse Standardisierung Fuss fassen und die Kultur der Kommunikation verbessert werden soll, bevor z. B. Eltern daran teilnehmen. Nicht ausgeschlossen ist, Eltern bzw. Familien über geplante oder stattgefundene M&M-Konferenzen zu informieren, ohne Inhalte daraus preiszugeben. M&M-Konferenzen sind nicht Teil der Krankengeschichte. 

 

Literaturverzeichnis
Quality improvement focused morbidity and mortality rounds: An integrative review from Kayla P. Churchill et al..  Cureus 2020 open access.
www.patientensicherheit.ch/morbiditaets-und-mortalitaetskonferenzen

Fokus 2021-1

Mirjam Wirthgen, Pflegefachfrau HF / Kindernotfallpraxis 

Vor 10 Jahren wurde die Kindernotfallpraxis (KNP) als Kooperation zwischen dem OKS und den umliegenden Praxispädiatern ins Leben gerufen. Das Spektrum der Krankheitsbilder in der Kindernotfallpraxis ist breit. Dazu gehören Kinder mit Fieber, Säuglinge mit Bauchweh, Hautausschläge jeglicher Farbe und Form, Schnupfen, Husten, kleine Rissquetschwunden.

Das Einzugsgebiet ist riesig. Aus der Bodenseeregion, aus dem Rheintal, dem Toggenburg, dem Appenzellerland, dem Fürstentum Lichtenstein, dem Fürstenland und sogar vom Obersee finden die besorgten Eltern den Weg in die Kindernotfallpraxis. Unter der Nummer 0900 144 100 gehen sämtliche Anrufer, die eine Beratung zur Dringlichkeit eines Arztbesuches wünschen, ein. Die Kindernotfallpraxis ist der Interdisziplinären Kindernotfallstation des Ostschweizer Kinderspitals angegliedert und arbeitet eng mit derselben zusammen.

Über 50 erfahrene Kinderärztinnen und -ärzte aus dem Einzugsgebiet behandeln die kleinen und grossen Patientinnen und Patienten kompetent und zeitnah.

«Melden Sie sich bei der Giraffe», so werden die Eltern mit den Patientinnen und Patienten angewiesen, den Weg in die Kindernotfallpraxis zu finden. In drei Räumen des Ambulatoriums arbeitet das Team der KNP während der Öffnungszeiten in enger Zusammenarbeit mit der Kindernotfallstation, an welche sie angegliedert ist.

Zum Jubiläum lesen sie hier den Bericht eines Pioniers der Kindernotfallpraxis.

 

10 Jahre Kindernotfallpraxis

Dr. Arnold Bächler

Im Laufe der letzten 50 Jahre hat sich die ambulante Versorgung der Kinder in der Ostschweiz grundlegend verändert.

Unter Dr. Paul Nef, dem ersten Chefarzt des Ostschweizer Kinderspitals, galt die Devise: «Im Spital stationäre Behandlungen, ambulante Behandlungen beim Kinderarzt». Das spiegelte sich auch in den baulichen Verhältnissen des Ostschweizer Kinderspitals (OKS): Beim Haupteingang gab es lediglich zwei kleine Räume zur Untersuchung von neu eintretenden Patienten. War ausnahmsweise doch einmal eine ambulante Untersuchung im Spital erforderlich, so erfolgte diese – etwas verstohlen – im Behandlungszimmer einer stationären Abteilung. Die Kinder- und Hausärzten warten mit diesem Regime zufrieden wachten streng darüber, dass sich die Klinik nicht in die ambulante Versorgung einmischte. Die Hauptaufgabe der Praxispädiatrie bestand in der Versorgung akuter Krankheiten. Vor allem in ländlichen Regionen lagen 60 bis 80 Konsultationen pro Praxistag im Rahmen der Norm. Zudem beteiligten sich die Kinderärzte am lokalen Notfalldienst, wo es auch um die ambulante Versorgung der Erwachsenen ging.

Mit dem stetigen Ausbau wichtiger Subspezialitäten wie Neonatologie, Kardiologie, Neuropädiatrie, Onkologie, Endokrinologie/Stoffwechsel und Pneumologie wandelte sich das OKS in der Ära von Prof. Kurt Baerlocher zu einer modernen Kinderklinik. Ambulante Behandlungen in den Spezialsprechstunden wurden damit unumgänglich. Die Zuweisung von Patienten durch niedergelassene Kinderärzte nahm stetig zu und deren Widerstand gegen die ambulanten Angebote der Klinik liess allmählich nach.

Als es darum ging den neuen Bedürfnissen mit dem Bau eines grosszügigen Ambulatorium gerecht zu werden, mahnten die Kantonsvertreter im Stiftungsrat, dies dürfe keinesfalls zu einer Ausweitung von Subventionsbegehren führen, denn im Gegensatz zu den Leistungen im stationären Bereich, die von Krankenkassen und Kantonen gemeinsam getragen würden, gingen ambulante Leistungen auch im Spital voll und ganz zu Lasten der Krankenkasse.

Der Trend weg von der stationären hin zur ambulanten Versorgung hält bis heute an. Dabei spielen neben ökonomischen auch medizinische und gesellschaftliche Faktoren eine wichtige Rolle. Die Lebenswelt der Kinder hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Während noch vor einer Generation die familienexterne Kinderbetreuung und die Erwerbstätigkeit beider Eltern eher die Ausnahme waren, sind sie heute die Regel. Im Rahmen dieser Entwicklung fühlen sich viele Eltern verunsichert und erwarten von ihrem Kinderarzt nicht nur medizinischen, sondern auch erzieherischen Rat. Diese neuen Erwartungen haben in der Praxispädiatrie einen Paradigma-Wechsel ausgelöst. Das Primat der Notfallversorgung wich zunehmend dem Angebot von Entwicklungsbegleitung und Erziehungsberatung, was längere Konsultationszeiten erforderlich machte. In einer durchschnittlichen pädiatrischen Praxis waren nun nicht mehr 60–80, sondern nur noch 20-30 tägliche Konsultationen möglich. Dies hat dazu beigetragen, dass sich die pädiatrische Notfallversorgung mehr und mehr von der Praxis zur Klinik zu verschoben hat. Viele Eltern, die wegen einer Erkrankung ihres Kindes beunruhigt sind, geben sich selbst bei banalen gesundheitlichen Problemen nicht mehr mit einer telefonischen Beratung zufrieden, oder warten auf einen Termin bei ihrem Kinderarzt, sondern gelangen direkt an die Notfallstation des Kinderspitals, wo ihnen - auch ohne Voranmeldung - Tag und Nacht die Türen offen stehen. Das führte, vor allem ausserhalb von Praxisöffnungszeiten, zu Spitzenbelastungen auf der Notfallstation.

Mit dem Ziel der Notfallstation des OKS eine Kindernotfallpraxis (KNP) anzugliedern, rief Dr. Guido Baumgartner, der damalige Leiter der Notfallstation, eine Projektgruppe ins Leben, die sich paritätisch aus Vertretern von Klinik und Praxis zusammensetzte. Niedergelassene Kinderärztinnen und Kinderärzte sollten in diesem Projekt ihre gesetzliche Dienstpflicht innerhalb der KNP unter dem Dach des OKS erfüllen und damit die Notfallstation von Patientenentlasten, die genauso gut in der Praxis behandelt werden könnten.

Obwohl sich dieses Modell an den Kinderkliniken in Baden, Zürich und Luzern bereits gut bewährt hatte, galt es in der Ostschweiz noch einige Hürden zu überwinden. Seitens der praktizierenden Pädiater wurden Bedenken geäussert, dies führe zu einer Verstaatlichung der Medizin und fördere die niederschwellige Beanspruchung von medizinischen Leistungen Von der Spitalleitung war zu hören, dass die KNP ökonomisch gesehen eine Konkurrenz zur Notfallstation darstelle und auch die vorgesehene Honorierung mit einem Fixlohn wurde in Frage gestellt. Einige regionale Ärztevereinigungen befürchteten die Anbindung ihrer Kinderärzte an die KNP führe zu einem personellen Engpass in der lokalen Notfallversorgung.

Weil die Projektgruppe diese Einwände vorhersah, wurde eine einjährige Planungsphase mit monatlichen Sitzungen ins Auge gefasst. Die sorgfältige Klärung der anstehenden rechtlichen, betrieblichen und finanziellen Fragen hat sichergestellt, dass beim Projektstart das Terrain in Klinik und Praxis gut vorbereitet war.

  • Liegt die Mitarbeit in der KNP im freien Ermessen jedes Einzelnen, oder handelt es sich um eine Dienst-Pflicht im Rahmen der Kantonalen Gesetzgebung?
  • Kommt in einem Haftpflichtfall die Versicherung des beteiligten Arztes, oder diejenige des Spitals zum Zuge?
  • Sollen die Tarifansätze der Klinik oder der Praxis zur Anwendung kommen?
  • Sollen die beteiligten Ärzte mit einem Fixlohn, oder mit einer leistungsbezogenen Umsatzbeteiligung honoriert werden?
  • Soll die Untersuchung und Behandlung in der KNP durch Pflegfachfrauen oder durch medizinische Praxisassistentinnen (MPA) unterstützt werden.
  • Soll die KNP täglich, oder nur am Donnerstag-Nachmittag und an den Wochenenden betrieben werden.
  • Wie gross darf das Einzugsgebiet der KNP sein?
  • Müssen auch Hausbesuche angeboten werden?
  • Wie soll die KNP räumlich und materiell ausgestattet werden?

Im Dezember 2010 waren diese Fragen soweit geklärt, dass die KNP den Betrieb aufnehmen konnten. In zwei Räumen der Notfallstation untersuchen seither niedergelassene Kinderärztinnen und Kinderärzte Patienten mit gesundheitlichen Problemen, die nicht spitalbedürftig sind. Im ersten Betriebsjahr erfolgte der Einsatz der Praxispädiater nur am Donnerstag-Nachmittag und am Wochenende.

KNP in Zahlen

Fallzahlen KNP

2011 2856
2012 3187
2013 3530
2014 4062
2015 4221
2016 4384
2017 4363
2018 4733
2019 4778

 

Mitarbeitende KNP 2020

42 Praxispädiaterinnen und -pädiater
11 Fachärztinnen und -ärzte OKS
5 Kaderärztinnen und -ärzte NF OKS
9 Pflegefachpersonen KNP

 

Die Zahlen belegen, dass die KNP im Verlaufe ihrer zehnjährigen Geschichte eine Institution geworden ist, die aus der ambulanten pädiatrischen Versorgung der Region nicht mehr wegzudenken ist.

Aus heutiger Sicht sind alle anfänglichen Bedenken und Einwände gegenüber der KNP schwer nachvollziehbar. Kolleginnen und Kollegen bestätigen, dass sich die Belastung durch Notfalldienste gut mit ihren übrigen Aufgaben vereinbaren lasse und dass sich eine Konsultation in der KNP als ebenso nachhaltig erweise wie eine Notfallvisite in der eigenen Praxis. Von einer «zunehmenden Verstaatlichung der Medizin» mag heute niemand mehr reden und der Leiter der Notfallstation berichtet, dass er kaum an einem anderen Ort im Spital so dankbaren Eltern begegnet wie in der KNP. Ist das nicht das schönste Geschenk zum 10. Geburtstag der anfänglich umstrittenen Kindernotfall Praxis?

Fabienne Wiesli, Stationsleiterin Tagesklinik 

Meine verschiedenen Aufgaben in der Führungsfunktion fordern mich immer wieder aufs Neue. Ich erfahre jedoch wertvolle Unterstützung von der Pflegedienstleiterin, dem Führungsteam Pflege sowie meiner Stellevertreterin. Es ist mir bewusst, dass mit mir auch ein Generationenwechsel in der Führung stattgefunden hat, ein anderer, neuer und frischer Wind weht über die Tagesklinik. Ich sehe viele Möglichkeiten und Chancen auf der Tagesklinik, ich freue mich darauf diese mit meinem Team zu prüfen, zu entwickeln und umzusetzen.

Den Einblick in die Tagesklinik wagen – Antworten auf (fast) alle Fragen

Wir sind ein bunt durchmischtes Team mit insgesamt acht Dipl. Pflegefachfrauen, einer Fachfrau Gesundheit, einer Auszubildenden sowie einer Praktikantin. Die Dienstzeiten werden flexibel dem täglichen OP-Plan angepasst und dauern maximal 9 ½ Stunden.

Die Mitarbeiterinnen haben sich in den vergangenen Jahren in bestimmten Fachgebieten spezialisiert. Unser Team besteht aus einer Wundexpertin, welche gemeinsam mit dem Team der Wundexpertinnen Verbandwechsel ausführt. Es gibt eine Spezialistin im Fachgebiet Urologie, eine Verantwortliche für die Begleitung und Betreuung der Patienten mit einer MMC sowie zwei Ausbildnerinnen, welche die Auszubildende FaGe in ihrem ersten Ausbildungsjahr im Lernprozess unterstützen. Auf unserer Abteilung mit operativen Eingriffen ist Schmerz ein Schwerpunktthema. Aus diesem Grund startet dieses Jahr eine Pflegefachfrau mit der Weiterbildung zur «Pain-Nurse». Alles zusammen ergibt unserem Team fundiertes Wissen und Erfahrung.

Zum Tagesstart liegt der Schwerpunkt in der Pflege und Betreuung der Patienten, welche für einen chirurgischen Eingriff ambulant eintreten.

Auch der administrative Aufwand ist nicht zu unterschätzen. Alle Unterlagen für die Eintritte müssen vorbereitet, Transporte für die externen Untersuchungen bestellt, die Patientinnen und Patienten aufgeboten und über die Nüchtern- und Eintrittszeiten informiert werden.

Die Patientinnen und Patienten für externen Untersuchungen werden durch eine dipl. Pflegefachperson begleitet, um die Überwachung der sedierten Patienten zu gewährleisten. Auch die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit dem Ärzteteam Chirurgie ist von grosser Bedeutung, welche vom Team sehr geschätzt wird. Wir assistieren beim Gefässzugang und Blasenkatheter legen oder bei der Kryotherapie. Bei der Cystomanometrie sowie beim MCUG helfen wir mit, oder wenn verordnet führen wir Uroflows aus. Auch das Überwachen von Patientinnen und Patienten während einer Hemangiol-Therapie, Instruktions- und Beratungsgespräche gehören zu unserem Aufgabengebiet. Zur Bewältigung der im Verlauf der Jahre angestiegenen Wundsprechstunden, führen wir in Zusammenarbeit mit den Wundexpertinnen täglich verschiedene Verbandswechsel durch. Dabei geht es uns in der Pflege hauptsächlich darum, die Patientinnen und Patienten sowie auch ihre Angehörigen in all den Handlungen und Untersuchungen optimal zu begleiten und zu unterstützen, sie nach den Operationen sicher zu überwachen und sie mit einem guten Gefühl nach Hause zu entlassen.

Nach diesem abwechslungsreichen und fordernden Tag, geniessen wir den Feierabend, laden unser Batterien auf und sind am nächsten Morgen wieder bereit für neue Herausforderungen.

Ein vielfältiges interessantes Aufgabengebiet, das einiges an Wissen, Kompetenz und Flexibilität erfordert, eben – viel mehr als einfach nur ein paar geplante Operationen!

Das waren hoffentlich die Antworten auf alle Fragen!